[Deutsch (Original):] Ausstellungsrezension von Pico Be, „Melanie Chacko – Wind blows…“, September 2023, PE Gallery Auf der Post in Taipeh schien der Fall klar, zumindest in den überraschten Augen der Zuständigen für ‘Cargo Insurances’: Nicht erst die unterwegs aus München witterungs- oder transportbedingt entstandenen Spuren einer langen Reise mochten die Angaben der Schadensmeldung ‘Water Damage’ bestätigen, die Malereien selbst waren es, die den Tatbestand von Wasserschaden zu erfüllenschienen. Wenn auch das Tropfwasser in Melanie Chackos Kunst elementar geronnen und gebunden und also nichts ist, was sich so einfach bereinigen ließe wie das, was vor ein paar Jahren die übereifrige Putzkraft vom Dortmunder Museum Ostwall in dem Gummitrog aus Martin Kippenbergers Installation ‘Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen’ vorfand. Auf eine subtilere und sehr weiche Weise unterlaufen Melanie Chackos Bilder den normativen Blick an Grenzkontrollen und überflügeln Schranken der Wahrnehmung von Kunst. Es sind amorphe Gebilde, auf den ersten Blick gleich ‘Frozen Gestures’, doch alsbald entpuppen sie sich als organische Körper, die sich beim Betrachten weiter formen, zu Gestalten wie aus Liquid Gaze und endoplasmatischer Reticula. Sie sind Teilabschnitte einer Struktur, welche selbst über der Bilder Randbezirke und Ränder noch fortzulaufen scheint, Teil eines pluriversalen Ganzen. Jedes Bild von ihr wird so zu einer Ergänzung und ist doch selbst beseeltes Unikat. Wassergeister stecken schon länger in ihren Arbeiten, so auch in ihrer neuesten Werkserie ‘Wind blows on the dust And snorts like a tremendous beast’. Anders als in ihrer Werkgruppe Wind im Körper, 2019 entstanden für den Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten München, reagiert hier die Begegnung mit Luft und Feuer in einer vertikalen Bewegung zwischen Freiflächen und wie ausbelichtet blendend blinden Flecken. Andersherum gesichtet, sind die hellsten Orte jene, an welche niemals Licht gedrungen – es sind die wandernden Rauten, die schon durch Chackos diesjährige Arbeit für BEYOND THE MATTER – Impressions of Eva Hesse zogen. Ob es nun züngelnde Flammen oder Segel im Wind sind, ich denke dass die Künstlerin einen abgrundtiefen Ozean aus Teelichtern und ein Meer fliegender Geisterschiffe unterhält, ja mehr noch: Melanie Chacko macht sie sichtbar. Das Erste, was ich vor ein paar Jahren von ihr gezeigt bekommen sah, war ein Addendum zu ihrer Arbeit non-finito, die Korrespondenz zwischen ihrem Vater und dessen Mutter, ihrer Großmutter, in Form von Briefen aus allen Häfen dieser Welt. Chackos Vater hatte diese als junger Matrose auf Frachtschiffen bereist, er war dem Ruf der Ferne gefolgt kaum dass er der Schule entwachsen war. Abgesehen von der See waren Wasserstädte wie Venedig und Amsterdam seine Lieblingsorte. Venedig mit seinen Wasserschäden, der Flut jahrhundertelange Arbeit an der Häuser Fassaden. Daran denke ich, wenn ich nun in Chackos Bilder eintauche. Daran, und an Italo Calvinos Unsichtbare Städte. Marco Polos Fabulierungen darin von Orten, die vielleicht niemals existiert hatten, oder gerade deshalb ganz gewiss, in der phantastischen Weite von Raum und Zeit. Marco Polo, der Venezianer, hat sie gesehen. In den Bildern von Melanie Chacko kehren sie wieder, als Krater und als Inseln. Atolle in einem Meer mikroskopischer Dimensionen. Alles wiederholt sich, vergeht sich und erholt sich, erholt sich und vergeht. Nichts davon identisch, es bleibt die Variation. [English:] Exhibition Review by Pico Be: “Melanie Chacko – Wind blows…”, September 2023, PE Gallery At the post office in Taipei, the case seemed clear, at least in the surprised eyes of those responsible for ‘Cargo Insurances’: It wasn’t just the traces of a long journey that emerged along the way from Munich due to weather or transport conditions that seemed to confirm the ‘Water Damage’ damage report. It was the paintings themselves that appeared to fulfill the facts of water damage. Even if the drip water in Melanie Chacko’s art is essentially coagulated and bound, it is not something that could be easily cleaned up like what a zealous cleaner at Dortmund’s Museum Ostwall found a few years ago in the rubber tub from Martin Kippenberger’s installation “Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen” (When it starts to drip through the ceiling). In a more subtle and very soft way, Melanie Chacko’s images subvert the normative gaze at border controls and transcend barriers of the perception of art. They are amorphous structures, at first glance like frozen gestures, but soon reveal themselves as organic bodies that continue to take shape as you observe them, into forms like those from Liquid Gaze and endoplasmic reticula. They are segments of a structure that seems to continue even beyond the edge regions and edges of the images, part of a pluriversal whole. Each image of hers thus becomes a complement and is itself a spirited unique piece. Water spirits have been in her works for a long time, as in her latest series “Wind blows on the dust And snorts like a tremendous beast.” Unlike in her series “Wind im Körper” (Wind in the Body), created in 2019 for the art pavilion in the Old Botanical Garden in Munich, the encounter here with air and fire occurs in a vertical movement between open spaces and overexposed blinding blind spots. Conversely viewed, the brightest places are those where light has never penetrated – they are the wandering rhombi that moved through Chacko’s work this year for “BEYOND THE MATTER – Impressions of Eva Hesse.” Whether they are flickering flames or sails in the wind, I think that the artist maintains a bottomless ocean of tea lights and a sea of flying ghost ships, yes, even more: Melanie Chacko makes them visible. The first thing I saw from her a few years ago was an addendum to her work non-finito, the correspondence between her father and his mother, her grandmother, in the form of letters from all the ports of this world. Chacko’s father had traveled these as a young sailor on cargo ships, he had followed the call of the distance as soon as he had outgrown school. Apart from the sea, water cities like Venice and Amsterdam were his favorite places. Venice with its water damage, the flood of centuries-long work on the facades of houses. I think of this when I now immerse myself in Chacko’s images. I think of this, and of Italo Calvino’s Invisible Cities. Marco Polo’s fabulations therein about places that may never have existed, or therefore certainly have, in the fantastic expanse of space and time. Marco Polo, the Venetian, saw them. In Melanie Chacko’s images, they return as craters and as islands. Atolls in a sea of microscopic dimensions. Everything repeats itself, transgresses, and recovers, recovers, and passes away. None of it is identical; variation remains. [Deutsch (Original):] Text zum Katalog „non-finito“ von Jonas Münch, September 2017, Debütantenförderung BBK München Die Stille der Nässe der Wiesen An diesem Herbsttag im Sommer mit Regen haben wir über deine Zeichnungen gesprochen, auf dem Land; und die Stille der Nässe der Wiesen war voll von den Worten der Rede über die Bilder der Zeichnung; und die Leere des Displays des IPads von den Formen und Farben der Zeichnung; und die Formen der Farben waren die Rätsel der Ordnung der Dinge. Wir besprechen die Helle des Displays, die wie Bühne, Raum und Blatt Papier nie leer gewesen ist. Die Striche und Spuren deiner Zeichnung berichten von der Struktur des Alltags ihrer Entstehung und erzählen die wortlose Geschichte der Möglichkeit ihres Zustandekommens. Und noch die Pixel des Programms transportieren im Schimmer die Hardware der Software. Im Augenblick einer Machbarkeit hast du die Glätte des Glases bemalt mit dem Finger und dabei die Regeln des Formens der Form gemacht immer wieder völlig neu wie neu. Denn dieses Spiel der Gestik der Form schreibt seine Gesetze malend selbst: selbst und plötzlich und währenddessen; und keine Referenz verhindert, sondern macht das Spiel, also den totalen Ernst, der ganz bestimmten Unbestimmtheit. Und was herauskommt, sind wirkliche Räume; ohne dass jemand das Geheimnis ihrer Gesetze nur kennen könnte oder müsste; das Ende der Kausalität: dort und dann, wo und wann –  nicht vorher, nicht nachher, aber mittendrin. Und alle Wörter zu den Bildern sind erlaubt und alles Fragen auch. Und die Farben und Formen, das Licht und die Bücher des Raums, in dem wir sitzen, leuchten als machbare Handlungen auf. Und Referenz wird Mittel und Raum wird Ort. Und Produkt wird Prozess. Und Bilder Wörter. Und unsre Müdigkeit zur Möglichkeit des Tees, den wir trinken. Und ein Fassbinder sitzt mit am Tisch ohne zu nerven und inmitten dänischer Möbel singt von irgendwo her irgendein Kleist über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden Bild Wort, Wortort.